Ein SPIEGEL-Artikel über Astrologie informiert nicht über Astrologie
Recherche ist neben einem guten Schreibstil das A und O journalistischen Tuns. Das weiß auch die freie Journalistin und SPIEGEL-Redakteurin Elisa von Hof, die u.a. für die Süddeutsche Zeitung, Berliner Morgenpost, Oper & Tanz, Capital, Die Welt oder FAZ schreibt. Die Berlinerin wurde 2020 vom medium magazin, einer Fachzeitschrift für Journalist:innen, in die Bestenliste junger Talente „Die Top 30 bis 30“ aufgenommen. Kann eine von ihren Kolleg:innen derarte Geadelte eine nur mäßig gute Arbeit abliefern? Journalist:innen sind auch Menschen und wir wissen, dass jeder mal einen schlechten Tag hat.
Elisa von Hof hat sich für das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL, Ausgabe 3/2022, die Astrologie vorgeknöpft. Sie stellt die Frage: „Influencerinnen und Literatinnen posten Horoskope und schauen in die Sterne. Warum?“ (#1) Bereits in der dritten Zeile ihres Artikels jedoch stolpere ich: Frau von Hof verwendet den Begriff „Sternzeichen“. Damit wiederholt sie nicht nur einen Begriff aus der Vulgärastrologie der Klatschmagazine, die mir ihren zum Teil frei erfundenen Textchen astrologisches Know-how nur vortäuschen, sondern zeigt auch, dass sie sich mit der Materie nicht oder nicht ausreichend auseinandergesetzt hat. Mangelnde Recherche eben.
Sternzeichen gibt es nämlich gar nicht. Wer ernsthaft Astrologie betreibt, eine entsprechende Ausbildung durchlaufen hat (etwa bei einem Ausbildungszentrum des Deutschen Astrologenverbandes), weiß, dass wir zwischen Sternbildern und Tierkreiszeichen unterscheiden müssen. Der Mischbegriff „Sternzeichen“ führt uns in der Regel dorthin, wo Elisa von Hof offenbar ihre ausgiebigste Recherche betrieben hat: in die Gosse der Pseudo-Astrologie.
Das merkt man auch an den Personen, die sie vorführt. Etwa die russisch-deutsche Fernsehmoderatorin und Schauspielerin Palina Rojinski. Ihr TV-Talent kann ich nicht beurteilen; ihr astrologisches Know-how durchaus: es ist nicht vorhanden. So wundert es nicht, dass die aus VIVA und M-TV bekannte Darstellerin auf ihrer eigens eingerichteten „Astrologie“-Webseite astrolinski.de nur Klamotten verkauft. Mit gleichem journalistischen Spürsinn hätte Frau von Hof einen Kugelschreiberhersteller zitieren können, der einen Stift herausbringt, auf dem astrologische Symbole aufgedruckt sind. Das hat mit Design mehr zu tun als mit Astrologie und Horoskopdeutung. Auch die anderen Frauen überzeugen nicht. Lori Haberkorn etwa, die sich auf ihrer Webseite als „Star-Astrologin“ geriert, ist in der professionellen Astrologie-Szene völlig unbekannt. Erwähnt werden außerdem Julia Topaz, Mirna Funk und Chani Nicholas, ebenfalls Fremde, wenn es um astrologische Fachkongresse oder Fachliteratur geht. Die zitierten Frauen sind alles mögliche; nur keine professionellen Astrologinnen. Ob und wo sie Horoskopdeutung gelernt haben, bleibt ungeklärt. Topaz gibt an, ihre Mutter habe ihr Astrologie beigebracht. Belegbar ist das natürlich nicht und eine Ausbildung erst recht nicht. Schade, dass die Berufsbezeichnung „Astrologin / Astrologe“ nicht geschützt ist; so kann sich eben jede:r mit allen möglichen Behauptungen diesen Begriff aneignen. Elisa von Hof scheint darauf hereingefallen zu sein.
Dabei führte sie durchaus mit jemandem ein Gespräch, der ihr den Unterschied zwischen Pseudo-Astrologie auf Partyniveau und seriöser astrologischer Individualberatung hat erklären können: dem 1. Vorsitzenden des Berufsverbandes DAV (Deutscher Astrologenverband) Klemens Ludwig. Ob er darauf verwiesen hat, dass es einen geschützten Titel in Deutschland gibt, nämlich die Bezeichnung „geprüfter Astrologe / geprüfte Astrologin DAV“, weiß ich natürlich nicht; in ihrem Artikel erwähnt von Frau von Hof das nicht. Um diesen Titel zu erhalten muss man eine umfangreiche Prüfung ablegen, die sowohl Theorie als auch Berufspraxis verlangt. Schätzungsweise 600 Personen haben das in Deutschland bislang gemacht. Rojinski, Funk, Topaz, Nichoals und Haberkorn gehören nicht dazu.
Frau von Hof hat sich für ihren Artikel von Herrn Ludwig astrologisch beraten lassen. Worum es in dem Beratungsgespräch ging, erfahren die Leser:innen nicht. Ein paar Deutungsschnipsel werden genannt. Meine Vermutung: sie hatte keinen Beratungsbedarf. Wer einen Astrologen aufsucht, „einfach so“, um „mal was über mich zu erfahren“, wird nicht viel erfahren. Es bedarf eines Anlasses. Oder geht Frau von Hof etwa auch „einfach so“ zu einem Anwalt, um „mal etwas über meine Rechte zu erfahren“? Das Arbeitsfeld der Astrolog:innen ist groß. Es gibt Spezialisierungen. Zugegeben: leider bieten Kolleg:innen auch immer wieder solch anlasslose „Beratungen“ an, die dann in einem Geplauder münden müssen. Seriös ist das nicht. Darüber hätte Frau von Hof schreiben können. Hat sie aber nicht.
Stattdessen erwähnt sie das Forer-Experiment; heute besser bekannt unter der Bezeichnung Barnum-Effekt. Bei diesem Experiment wurden Personen angeblich individuelle Charakteranalysen vorgelegt; in Wirklichkeit erhielt jede:r Teilnehmende die gleiche Analyse, deren Texte sich aus zufällig ausgesuchten Zeitungshoroskopen zusammensetze. Da Zeitungshoroskope (besser: Zeitungs“horoskope“) aber keine Horoskope sind und mit Astrologie genau so viel zu tun haben wie ein Frauenmagazin-Schmink-Tipp mit einer dematologischen Behandlung durch eine Fachärztin, sagt das Ergebnis des Forer-Experiments vielleicht manches über Selbstwahrnehmung, ganz sicher aber nichts über Astrologie aus.
Auch andere Aussagen bleiben seltsam vage für ein Magazin wie DER SPIEGEL, das eigentlich für seine soliden Recherchen bekannt ist. Ich schätze die journalistische Arbeit des SPIEGELs sehr, habe die Zeitschrift daher abonniert und halte das Credo seines Gründers für ehrenwert: „Sagen, was ist“. Die schreibende Zunft muss sich aber das Wörtchen „nur“ dazu denken: Nur sagen, was ist. Denn sonst gerät man in das Fahrwasser der Klatschpresse, die schlicht erfindet, was Leser:innen gerne lesen möchten beziehungsweise was Cash bringt. (#2) Ob es wirklich stimmt, dass „Astrologie … populär wie lange nicht“(#1) und „plötzlich cool“ (#1) ist, ist zu hinterfragen. Von Hof behauptet dies ohne Beleg. Sucht man Belege, stößt man eher auf das Gegenteil. Hätte die Star-Journalistin auf die regelmäßig erhobenen Daten des Instituts für Demoskopie Allensbach zurückgegriffen, wäre ihr dieser Lapsus sicherlich nicht passiert. Die Statistiker:innen vom Bodensee greifen immer wieder das Thema Astrologie auf. So gaben bereits vor zwanzig Jahren 77% der Befragten (Westdeutschland, in Ostdeutschland: 78%) an, Horoskoptextchen in Zeitungen zu lesen. Das war lange vor Instagram und Co., die Frau von Hof als Astrologiebeschleuniger ausgemacht haben will. Die Unter-30jährigen lagen sogar mit 79% minimal über dem Durchschnitt. (#3) Diese Daten lassen zweifeln, dass es heute einen überraschenden Astro-Boom gäbe.
Auch die von Laien gerne geäußerte Vermutung, dass Menschen sich nur dann astrologisch beraten lassen, wenn sie „unter einen hohen Stresslevel und genereller Unzufriedenheit“ (#1) leiden, taucht in dem Artikel auf – wiederum ohne Beleg. Es ist das, was Greti und Pleti auf der Straße befragt, vermuten. Eine solide Forschung gibt es dazu nicht; die Erfahrungswerte aus meinem Kolleg:innenkreis spricht eine andere Sprache. Ja, es gibt Menschen, die in Krisenzeiten Unterstützung suchen – andere nutzen Astrologie zur Selbsterkenntnis und zur Weiterbildung ihrer Persönlichkeit, ganz ohne „Sehnsucht nach ein bisschen Orientierung, nach ein bisschen Eskapismus und spiritueller Träumerei“. (#1)
Insgesamt also ein unerfreulicher Artikel. Nicht, weil das Thema unerfreulich sei, sondern weil auf das verzichtet wurde, was ich als Abonnent und Leser vom SPIEGEL erwarte: solide Recherche. Elisa von Hof fasst zusammen, Astrologie sei „von der Schmuddelseite der Tageszeitung auf die Smartphones katapultiert“ (#1) worden. Ich meine: Elisa von Hof hat sich mit diesem Beitrag von der Top 30 bis 30 auf die Schmuddelseiten des Belanglosjournalismus degradiert. Schade für alle Beteiligten.
Fußnoten
1) Elisa von Hof: Voll krasse Zeichen. In: DER SPIEGEL Nr. 3/15.1.2022, S. 110 ff oder https://www.spiegel.de/kultur/astrologie-und-esoterik-warum-der-blick-in-die-sterne-ploetzlich-cool-ist-a-e7bac6d7-b5d7-4200-a873-22251606f53a
2) Weiter dazu siehe https://www.youtube.com/watch?v=hkncijUZGKA&t=1s und https://www.youtube.com/watch?v=LpFSkYSeuU4 und https://www.youtube.com/watch?v=lw1jxkk0CnE
3) https://www.ifd-allensbach.de/fileadmin/kurzberichte_dokumentationen/prd_0125.pdf
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https://www.pexels.com/de-de/foto/informelle-erwachsene-frau-die-laptop-fur-die-arbeit-mit-fotoprojekt-verwendet-3768182/