Steht schwules Begehren in der Radix?
Was ist Homosexualität?
Dass Homosexualität ein Wesenszug des Menschen sei, ist eine sehr junge Vorstellung. Sie ist ca. 200 Jahre alt. Vorher gab es keine Schwulen. Selbstverständlich gab es Männer, die Sexualität mit anderen Männern hatten, aber es gab niemanden, der sich als schwul oder gay bezeichnet hätte oder gar von sich gesagt „ich bin homosexuell“. Das heißt, es gab niemanden, der aus der Lust, die er als Mann mit einem anderen Mann teilte, etwas über seinen Charakter abgeleitet hätte.
Heute ist das anders. Wir sprechen vom Schwul“sein“. Die sexuelle Verhaltensweise wird mit anderen, nicht-sexuellen Vorlieben und Abneigungen verbunden; so heißt es „als schwuler Mann vermeide ich Fußballspielen“ oder „Schwule sind einfühlsam“. Das ist eine ganz neue Konstruktion, die erst begann, als man anfing, Sexualitäten zu katalogisieren. In seinem Werk „Psychopathia sexualis“ listete 1886 Richard von Krafft-Ebing alle seinerzeit denkbaren und bekannten Perversionen auf. In dieser Zeit waren die Psychologen und Ärzte, die die Sexualität als ein neues Krankheitsfeld entdeckt hatten, bestrebt, aus den einzelnen Handlungen Persönlichkeitsmerkmale abzuleiten. Ein gefährliches Spiel übrigens – denn der Faschismus greift auf diesen Grundgedanken zurück und bindet letztendlich in seine Rassenlehre den Gedanken ein, dass Obdachlosigkeit, Kriminalität, Alkoholismus, Homosexualität oder andere Verhaltensweisen eben persönlichkeitsimmanent (und somit nicht therapierbar) seien. In Krafft-Ebings Sexualpathologie finden sich aus heutiger Sicht auch unbekannte sexuelle Spielarten, wie zum Beispiel den Zopfabschneider. Das ist ein Mann, der erregt wird, wenn er den Zopf einer Frau abschneiden kann. Wo sind nun die Zopfabschneider heute geblieben? Astrologisch gefragt: Haben sich die planetaren Komponenten geändert? Haben wir gar einen Planeten verloren, der für das Zopfabschneiden steht?
Sicherlich nicht. Die Frage verdeutlicht, dass wir unser Konzept von Homosexualität (und auch von den Zopfabschneidern) erneuern müssen. Zopfabschneiden steht ebenso wie Homosexualität nicht in der Radix!
Die Frage, was Homosexualität eigentlich ist, muss auch gestellt werden, wenn es um die astrologische Betrachtung geht. Nur dann, wenn Homosexualität ein Persönlichkeitsmerkmal ist, haben wir berechtigten Grund zu der Annahme, im Geburtsbild fündig zu werden. Alternativ könnte Homosexualität ja auch schlicht ein Handlungsmerkmal sein. Und können wir ein Handlungsmerkmal tatsächlich in einem Horoskop ausfindig machen? Können wir erkennen, wie jemand agiert? Können wir voraussehen, ob jemand an der Eistheke Vanille-, Erdbeer- oder Schokoladeneis bestellt? Können wir aus der Radix interpretieren, ob jemand gerne barfuß läuft, lieber Hemden als T-Shirts trägt oder wie häufig er sich die Zähne putzt? Sagen uns die Planetenkonstellationen, ob jemand gerne ins Sonnenstudio geht? All dies ließe sich nur dann bejahen, wenn wir überzeugt davon wären, Handlungen aller Art aus dem Horoskop herleiten zu können. Ich bin davon hingegen nicht überzeugt. Das Horoskop sagt über all dies nichts aus. Es verrät nicht, ob jemand Links- oder Rechtshänder ist, ja nicht einmal, ob es die Radix eines Mannes oder einer Frau oder eines Tieres ist. Ein Horoskop hilft uns nicht bei der Frage, was jemand tut, sondern nur bei der Frage, warum jemand etwas tut. Die Radix zeigt die Motivation hinter der Handlung, nicht die Handlung selbst.
Homosexualität im Horoskop
In der gängigen astrologischen Literatur finden Sie viele Vorschläge, welche Komponenten in der Radix einen Hinweis darauf geben, dass ein Mann mit einem anderen Mann eine Beziehung eingehen möchte. Häufig wird Uranus dafür herbeizitiert. Der Mann mit der Mars-Uranus-Konjunktion wird als „anders als die anderen“ beschrieben: er verabschiede sich von der heterosexuellen Norm und würfe sich dem Schwulsein förmlich an die Brust.
Einige Autoren werden auch nicht müde die Betonung weiblicher Zeichen für das schwule Begehren verantwortlich zu machen. Dahinter verbirgt sich das Modell des effeminierten Mannes. Wer als biologischer Mann zu viel Mond und Venus im Horoskop habe, würde sozusagen verweiblicht, also schwul. (Nebenbei: was ist „zu viel „?). In der schwulen Bevölkerungsschicht gibt es sehr viele Kerle, die diesem Bild widersprechen. Vielleicht tauchen sie seltener auf den Fernsehbildschirmen auf; sind sie doch langweiliger weil gewöhnlicher anzusehen als die Männer in Rock und Fummel. Für sie, die „Normalos unter den Schwulen“ müssten wir also noch etwas anderes im Horoskop finden.
Auch harte Mars-Venus-Aspekte werden zitiert. Was dahinter steht lässt sich leicht rekonstruieren: die Planeten, die wir mit Partnerschaftsgeschlechtlichkeit in Verbindung bringen, kommen schwer zueinander. Übersetzt soll das bedeuten, dass der Mensch, der diese Konstellation in sich trägt, schwer zu seinem Partner / seiner Partnerin finde. Die Autoren lassen es aber offen, warum man dann leicht eine Beziehung zu einem gleichgeschlechtlichen Partner aufbauen kann.
Immer wieder gerne genommen wird auch Neptun. In Zusammenhang mit Mars sorge er dafür, dass dem Mann seine eigene Männlichkeit flöten ginge, sie regelrecht wachsweich davon schwämme. Eine Argumentation, der man nur folgen kann, wenn man behauptet, der gemeine (also heterosexuelle) Mann sei „hart wie Kruppstahl“.
Auch ein rückläufiger Mars muss unter dieser Prämisse als Zeichen der mannmännlichen Liebe herhalten; abgeleitet von der Überlegung, dass ein schwuler Mann ja nicht männlich sein könne. In vielen Köpfen scheint das Fakt zu sein. Und demnach ist es in sich folgerichtig nach Störungen in der Radix zu suchen. Der rückläufige Mars ist dazu geradezu prädestiniert.
Weiter im Repertoire: harte Pluto-Aspekte. Wenn Pluto zu den weiblichen Planeten in Quadratur oder Opposition steht (oder, falls sich gar nichts anderes finden lässt auch in irgend einem ungewöhnlichen, aber folgenschweren Nebenaspekt) so wende sich der Schwule nur aus Not dem eigenen Geschlecht zu; tatsächlich verberge er damit eine große Angst vor allem Weiblichen. Wahrscheinlich liege ich richtig, wenn ich behaupte, dass jeder Mensch Zeiten kennt, in der er Angst hat(te) vor sexuellen Begegnungen, egal mit welchem Geschlecht. Zum Stress der Pubertät gehört dies ja fast zwingend dazu. Nichtsdestotrotz ist aus den meisten Menschen doch ein heterosexueller Mitbürger geworden. Oder sollen wir uns mit der Angst überhaupt jemanden zuwenden?
Nicht zu vergessen die schlechte Betonung der Häuser, die mit Sexualität oder Karma zu tun haben. Was heißt eigentlich bitteschön „schlecht“? Mars in Haus 12 beispielsweise soll jemanden zeigen, der es in seinem letzten Leben mit seiner Männlichkeit übertrieben habe und der jetzt gezwungen wird, sich ausschließlich mit dem eigenen Geschlecht zu identifizieren. Dem zur einen Seite ausschlagenden Pendel wird nun also der Gegenstoß verliehen, so dass es zur anderen Seite ausschlage – ein Karma-Konzept, das ich persönlich nie verstanden habe, weil es eine unendliche Rezeption in sich birgt
Die Liste angeblich verantwortlicher Komponenten ist noch viel länger:
- Betonung der doppelkörperlichen Zeichen Zwillinge, Schütze
- Mars, Mond oder Venus in Wassermann oder im elften Haus
- Mars in einem Wasserzeichen oder Venus in einem Feuerzeichen
- harte Mars – Venus – Aspekte
- harte Mond – Venus – Aspekte
- harte Aspekte von Neptun zu Sonne, Mond, Mars oder Venus
- harte Aspekte von Uranus zu Sonne, Mond, Venus oder Mars
- harte Aspekte von Pluto zu Sonne, Mond, Venus oder Mars
- Mond, Venus oder Mars unaspektiert
- Herr von 4, 5, 7 oder 8 unaspektiert oder im harten Aspekt zu Uranus oder Neptun oder in Haus elf oder zwölf
- Mars rückläufig
- Mond Void of Course
- schlechte Betonung der Häuser, die mit Sexualität und / oder Karma zu tun haben
- Überbetonung der Hitze oder des Feuchten
- Spitze Haus acht oder Haus fünf in Wassermann, Skorpion oder Fische
- vollständige Verdrängung von Venus oder Mars
- Rollentausch der Eltern: Sonne – Mutter und Mond –Vater
- Asteroid Ganymed oder Asteroid Sappho an relevanter Stelle
- und so weiter…
Picken wir uns eine einzige heraus: eine Mond-Uranus-Verbindung. Das sind bei einer Konjunktion mit sieben Grad Orbis in beide Richtungen bereits 14 Grad auf dem Tierkreis. Nehmen wir die Spannungsaspekte Opposition und Quadrate dazu, haben wir bereits 4 x 14 Grad = 56 Grad. Bei einem 360 Grad großen Tierkreis entspricht dies einer Wahrscheinlichkeit von 15%, dass eine solche Aspektierung vorkommt. Und das bei nur einem einzigen Homo-Faktor!
Beziehung im Horoskop
Warum brauchen wir überhaupt solche astrologischen Zuordnungen?
Genügt es nicht, in einer Beratungssituation den Klienten zu fragen „mit wem möchten Sie gerne eine Beziehung eingehen?“ Und können wir nicht die Antwort unseres Klienten akzeptieren? Müssen wir es besser wissen?
Erinnern wir uns an unsere Bescheidenheit!
Das herkömmliches Modell um Beziehung zu analysieren basiert darauf, den Deszendenten zu beschreiben, ferner ggf. das fehlende Element und die „gegengeschlechtlichen“ Partnerschaftsplaneten Venus und Mond bzw. Mars und Sonne. Diese Vorgehensweise ist für Homosexuelle unbrauchbar. Denn wir können das nicht einfach übertragen: sucht der Schwule also nach Sonne und Mars statt nach Venus und Mond, so sucht sein potentieller Partner ja ebenfalls nach Sonne und Mars. Eine Ergänzung, wie sie das Ying-Yang-Prinzip vorschreibt, kann also nicht stattfinden. Oder sucht der Schwule nach Venus und Mond im Partner? Wenn dem so ist, worin unterscheidet er sich dann vom Hetero?
Das Polaritätsprinzip ist somit spätestens bei der Begegnung mit gleichgeschlechtlich liebenden Klienten aufgebrochen und nicht mehr anwendbar.
Wir müssen bei Horoskopen von Schwulen oder Lesben aus den Rollenklischees heraustreten. Unsere Neugier, wo wir das homosexuelle Begehren in der Radix vorfinden, haben wir dem Klienten zugute hinten an zu stellen. Die persönlichen Planeten sind losgelöst von geschlechtlicher Zuordnung zu deuten!
So spielt Venus im Horoskop eines Menschen immer eine Rolle, wenn es um Beziehungen geht. Sie ist schließlich ein Indikator, wenn es darum geht, Beziehungen aufzunehmen und ein harmonisches Miteinander zu führen. Das durch Venus angezeigte Grundbedürfnis ist das, in Balance zu bleiben mit seinem Gegenüber. Ihre Stellung im Horoskop sagt demnach etwas darüber aus, wie ich mir Beziehung vorstelle; aber nicht mit wem!
Mars kennen wir als das Symbol der Durchsetzung. Er kennzeichnet Mut, aber auch Wut, Aggression und Sexualität. In diesem Kontext ist er in Partnerschaften relevant. Seine Stellung in der Radix gibt Hinweise, wie ich mir Sexualität wünsche und vorstelle. Völlig unabhängig, ob ich hetero-, homo-, bi-, oder transsexuell bin. Im Horoskop einer Frau beispielsweise ist Mars dann nicht mehr der Animus-Faktor, den sie im Außen zu suchen habe. Bei Lichte betrachtet heißt das nämlich, dass sie Teile ihres Horoskops auslagern müsse. Das kommt einer Verleugnung der eigenen Marskräfte gleich. Vielleicht identifizieren wir uns deswegen so oft mit den „richtigen“ Geschlechtsplaneten, weil wir die anderen Möglichkeiten in uns klein halten. Unser Horoskop zeigt jedoch die Gesamtheit unserer Person. Hier befinden sich symbolisch alle Kräfte, alle Möglichkeiten. Dazu gehört auch der „männliche“ Mars. Mein Aufruf an die Frauen: Lassen Sie ihn sich nicht wegnehmen!
Eine Mars-Uranus-Verbindung im Horoskop zeigt also erst einmal nur den Wunsch nach einer „uranischen“ Sexualität an, also eine schöpferische, chaotische, wilde, kopfgesteuerte, unkonventionelle, provozierende, nonkonforme Sexualität. Das kann, muss aber nicht Homosexualität sein. In einer streng schwul-lesbischen Gesellschaft wäre solch ein Mensch vermutlich eher geneigt, sexuelle Lust Gegengeschlecht zu entwickeln.
Kurzum: Ein „Homoskop“, bei dem die Symbolkomponenten der Radix anders zu deuten wären als bei Heterosexuellen gibt es demnach nicht. Wir können aus dieser Erkenntnis noch etwas weiteres ableiten: Ein „Heteroskop“ gibt es ebenfalls nicht.
Tipp zum Weitersurfen
Video: Homosexualität im Horoskop.
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