Definition
Das Solar ist das bekannteste Wiederkehrhoroskop. Wie die Bezeichnung „Wiederkehrhoroskop“ schon sagt, ist ein bestimmter Faktor des Geburtsbildes wieder an seine Ausgangsposition zurück gekehrt. In der Bezeichnung Solar steckt das Wort „sol“, das darauf hindeutet, dass es die Sonne ist, die eine Umrundung des Tierkreises hinter sich hat. Als Solar bezeichnet man also ein Horoskop, das auf den Moment erstellt wird, in dem die transitierende Sonne ihre Radix-Ausgangsposition erreicht.
Fast alle Astrologinnen und Astrologen, die damit arbeiten, berichten, dass es bereits „vorher zu wirken beginnt“. Die Erfahrungswerte selbst gehen dabei jedoch auseinander. Manchmal ist die Rede davon, dass die Solar-Themen ein paar Tage oder Wochen vor dem Geburtstag beginnen, relevant zu werden, bei anderen Autorinnen und Autoren werden Sie lesen, dass man schon ein halbes Jahr vor dem Stichtag die ersten Solar-Wirkungen spüren kann. Aus meiner Erfahrung kann ich einen so langen Zeitraum nicht bestätigen; doch scheinen durchaus drei Monate Vorverlegung der Wirklichkeit zu entsprechen. Warum ist das so? Auf diese Frage habe ich trotz jahrzehntelanger Astrologie-Praxis und aufwendiger Recherche bislang keine überzeugende Antwort gefunden. Eigentlich widerspricht es sogar unserer Logik; denn das allererste Solar ist ja das Geburtshoroskop selbst. Und das kann erst mit dem Eintritt des Neugeborenen in das Leben erstellt werden; also nicht schon vorher wirken. Oder doch? Bei den oben genannten Zeiträumen handelt es sich eben um tradierte Erfahrungswerte. Wenn Sie mit Solaren arbeiten, beobachten Sie es einmal bei Ihnen selbst. Schauen Sie, was für Sie stimmig ist. Und wenn Sie eine Theorie haben, warum Solare schon vor dem eigentlichen Wiederkehrmoment relevant sind, dann lassen Sie es mich wissen.
Geschichte
Die historischen Forschungen der Astrologen in den letzten Jahren (1) haben zweifelsfrei bestätigt, dass es sich beim Solar um eine hellenistische Technik handelt. So beschrieb Vettius Valens, ein Zeitgenosse Ptolomäus‘, in seinem zehnbändigen Werk Anthologie bereits im 2. Jahrhundert seit unserer Zeitrechnung diese Vorgehensweise. Die Anthologie verfasste er zwischen 150 und 175 – es war sein Lebenswerk. Für uns heute ist dieser Text eine Fundgrube alten Wissens, handelt es sich schließlich um das längste, zusammenhängende Astrologie-Werk jener Epoche. Als umfassendes Lehrwerk intendiert beinhaltet es das Kompendium astrologischen Wissens jener Zeit. Valens, selbst als Astrologe tätig gewesen, verfasste den Text als Praktiker und fügte viele Horoskopbeispiele mit an.
Auch Paulus Alexandrinus berichtete von Solarhoroskopen. In seinem Werk Eisagogika, das als eine Einführung in die Astrologie im Jahr 378 seit unserer Zeitrechnung erstmalig erschien und eine Abhandlung maßgeblich wichtiger astrologischer Techniken und Deutungswege jener Zeit darstellt, wird dem Solar ebenfalls Aufmerksamkeit gewidmet. Die Bedeutung des Sonnenstands-Wiederkehrhoroskops geriet im Laufe der Zeit nicht in Vergessenheit, wie etwa andere Techniken und Herangehensweisen an die Radix. Solare wurden tradiert, aber auch weiter entwickelt und verändert. Besondere Bedeutung erlangt dabei der arabische Astrologe Abu Mashar (787 – 886), auch bekannt unter den Namen al-Falaki oder Albumasar. Sein Einfluss ist nicht zu unterschätzten, da zahlreiche seiner Schriften ins Lateinische übersetzt wurden. Er galt somit auch bei europäischen Gelehrten des Mittelalters, vor allem der „Mathematici“, als bekannte Größe seines Fachs. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass er einer der ganz Großen in der Astrologiegeschichte war. In seinem Buch Über die Jahres-Umwälzung lehrt er den Umgang mit Solarhoroskopen.
Der Hinweis auf den antiken Ursprung soll uns aber nicht vergessen lassen, dass Solarhoroskope jener Zeit nicht identisch waren mit dem, was wir heute unter dieser Technik verstehen und wie wir damit umgehen. Die von Abu Mashar beschriebene Umwälzung eines Jahres ist im Prinzip eine Ansammlung diverser astrologischer Verfahrensweisen, um Schicksalskräfte eines Zeitraums von einem Jahr zu beschreiben. Heute würden wir das vielleicht einen Jahrestrend nennen. Abu Mashar wäre es nicht in den Sinn gekommen, das Solar als eigene Technik alleine zu deuten. Dem damaligen Verständnis nach muss es in dem Gesamt der Vorhersagebemühungen gesehen und eingebunden werden. Die Isolierung der Methode kann schließlich im 16. Jahrhundert verortet werden – doch in einem ganz anderen Kulturkreis. So wurde in Indien im 16. Jahrhundert eine Prognosetechnik beschrieben, die wir mit dem Solar gleichsetzen können. Dort wird erläutert, dass das Solarhoroskop losgelöst von anderen Orakelverfahren gedeutet werden kann und soll. Wenn wir heute großen Wert bei der Deutung des Solars auf den Aszendenten und den Herrscher des ersten Hauses legen, so geht dies auf die indischen Ideen der Solardeutung zurück.
Vielleicht ist das der Grund, warum sich Solarhoroskope im 17. Jahrhundert besonders großer Beliebtheit erfreuten. Es lag nun eine Technik vor, die auch losgelöst von anderen Prognosemethoden Anwendung finden konnte. Wir wissen jedenfalls, dass der Stundenastrologe William Lilly das Sonnenwiederkehrhoroskop kannte und es auch in seine Deutungen teilweise einbezog. In seinem Buch „Christliche Astrologie“ beschrieb er Berechnung und Deutung eines Solars. In einem anderen Werk, dem „Catalogue of Astrological Authors“ führte Lilly die oben genannten antike Quellen für das Solar an.
Heute gehört das Solar mit zum Standardrepertoire praktizierender Astrologinnen und Astrologen in unserem Kulturkreis. Dabei unterscheiden sich die Astrologen dadurch, wie intensiv sie das Solar deuten. Man kann es als eigenständiges Jahreshoroskop interpretieren. Eine Vorgehensweise, die ich nicht anwende. Ich bevorzuge es, das Solar stets in Kombination zur Radix zu deuten. Die Radix ist das Geburtshoroskop eines Menschen. Meiner Überzeugung nach müssen alle „Hilfshoroskope“ auf die Radix bezogen werden; so, wie alle Deutungen eben auf die Grundpersönlichkeit hin ausgerichtet sein müssen.
(1) Allen vor an jene, die Menschen, die sich engagiert am Projekt Hindsight beteiligten, mit dem Ziel, historische Quellen astrologischen Wissens für die Moderne zugänglich zu machen. Mehr Informationen zu diesem Projekt finden Sie im Internet unter www.projecthindsight.com