Gibt es eine seriöse Sternzeichenastrologie?
Wer mich kennt, weiß, dass ich eine mehr als kritische Haltung zu Sonnenstandsastrologie einnehme. Das heißt zu einer Astrologie, die die Menschen ausschließlich nach dem Tierkreiszeichen, in dem die Sonne steht, betrachtet. Wer sich ernsthaft mit Horoskopen beschäftigt weiß, dass neben dem sogenannten „Sternzeichen“ die Stellung der anderen Planeten in Zeichen und Häuser, des Aszendenten und des Medium Coelis etc. wichtige Faktoren der Deutung darstellen. Davon weiß die Sonnenstandastrologie nichts. Sie kennt nur die zwölf Typen von Widder bis Fische.
Sternzeichenastrologie ist uns vor allem aus den Medien vertraut. Und mal ehrlich: die Horoskopspalte der Tageszeitung haben wir alle schon mit Neugier gelesen. Wohlwissend, dass diese Zeitungshoroskope kaum unser individuelles Schicksal beschreiben können. Ob es stimmt, dass die Mehrzahl dieser winzigen Texte von Redakteuren verfaßt werden, die von Astrologie überhaupt keine Ahnung haben, weiß ich nicht. Wenn ich mir die „Qualität“ der meisten Texte ansehe, ist dies jedoch wahrscheinlich.
Kurzum: eine seriöse Sternzeichenastrologie kann es nicht geben.
Oder doch?
Wer die Vielschichtigkeit der astrologischen Menschenkunde kennen- und schätzen gelernt hat, neigt bisweilen dazu, hochnäsig die Nase über die profane Einteilung nach Sonnenzeichen zu rümpfen. Sicherlich: das Sonnenzeichen ist nur ein Faktor von vielen. Andererseits: es ist eben ein Faktor. Kein/e vertrauenswürdig/e Astrolog/in würde ein Horoskop deuten, ohne dabei die Stellung der tl_files/bilder_inhalte/pfeil.gif Sonne im Tierkreis zu berücksichtigen. Schließlich zeigt diese den Wesenskern des Menschen an. Sein inneres Zentrum und eine bestimmte Art und Weise seines persönlichen Verhaltens in dieser Welt. Falsch kann die Berücksichtigung des Sonnenzeichens also nicht sein. Im Gegenteil: es ist für eine detaillierte Analyse zwingend notwendig.
Zeitungshoroskope versprechen, bestimmte Tendenzen für einen festgelegten Zeitraum zu beschreiben. Dieser richtet sich in der Regel nach der Erscheinungsweise der Zeitschrift: während die Tageszeitungen für jeden Tag eine kleine Prognose bereithalten, werden in monatlich erscheinenden Publikationen Monatsübersichten veröffentlicht. Die Qualität der Texte ist derart unterschiedlich, dass ich darüber keine allgemeingültige Aussage treffen kann. Die Mehrzahl der mir bekannten Texte ist jedoch leider niveaulos und nichtssagend.
Muß das wirklich so sein?
Wenden wir uns dieser Frage mal von einer ganz anderen Seite zu: angenommen, Sie als astrologisch versierter Mensch betrachten eine Horoskopzeichnung und ziehen die Transite zur Beschreibung aktueller Tendenzen hinzu. Sie sehen, dass der transitierende Saturn sich der Radix-Sonne nähert. Halten Sie das für einen relevanten Aspekt? Glauben Sie, dass sich dieser Aspekt im Alltag des betreffenden Menschen in irgendeiner Weise bemerkbar machen wird? Wohl schon. Schließlich treffen hier zwei widersprüchliche Planeten aufeinander. Zudem ist dieses Zusammentreffen so selten, dass es mit Sicherheit einen bleibenden Eindruck hinterläßt. Denn unabhängig von dem gesamten Horoskopbild steht der Transit-Saturn nur ca. alle 29 Jahre in Konjunktion zur Radix-Sonne.
Am 4.6.2003 tritt Saturn in das Zeichen Krebs ein. Alle Menschen, deren Sonne am Anfang des Krebs-Zeichens steht, werden also von dieser Konjunktion in den nächsten Monaten „betroffen“ sein. Im Zeitraum 4.6. bis 5.9.2003 durchläuft Saturn die ersten zehn Gerade des Krebses. Die Konjunktion Transit-Saturn auf Radix-Sonne wird also das erste Dekanat dieses Tierkreisabschnitts in eben diesem Zeitraum direkt betreffen. (Dekanate nennt man die Einteilung der 30 Grad großen Tierkreisabschnitte in jeweils Zehn-Grad-Segmente. Jedes Tierkreiszeichen besteht somit aus drei Dekanaten.) Man kann also durchaus auch ohne Kenntnis des kompletten Horoskopbildes sagen, dass ein Mensch, der in den ersten zehn Tagen des Krebszeichens geboren wurde, in dem Zeitraum Juni bis Anfang September einen Saturn-Transit über die Sonne erleben wird.
Solch einen Transit können wir deuten. Dabei empfiehlt sich die klassische Herangehensweise: zunächst betrachten wir den Radix-Planeten, danach die „Botschaft“ des Transit-Planeten. Eine Krebs-Sonne bringt den Wunsch mit, aus dem Bauch heraus zu handeln. Seinen Zielen nähert man sich auf emotionale Art und sucht seine Identität durch Gefühle Ausdruck zu verleihen. Saturn nun bringt als Transit die Aufforderung mit, Rationalität und Nüchternheit an den Tag zu legen. Das ist nicht gerade die Stärke des bisweilen launischen Krebses. Saturn über Sonne fordert auf, sich verstandesmäßig für seine Ziele (Sonne) einzusetzen. Er verlangt Disziplin und Ausdauer und ist zugleich eine Prüfung, ob man seine Pflichten gewissenhaft erfüllt. Ohne dies jetzt vertiefen zu wollen könnte man diesen Transit also auch wie folgt beschreiben:
Es beginnt für Sie eine wichtige Zeit. Langfristige (Saturn) Projekte (Sonne) sollten Sie gut prüfen (Saturn) und mit Disziplin und Ausdauer (Saturn) verfolgen. Dabei ist es nicht vorteilhaft, in gewohnter Krebs-Manier sich emotional für seine Ziele (Sonne) einzusetzen. Vielmehr ist jetzt verstandesmäßiges Herangehen (Saturn) erfolgversprechend. Achten Sie darauf, dass Sie sich nicht so sehr von Ihren Launen treiben lassen (Schattenseite der Krebs-Sonne). Wenn Sie gewissenhaft Ihre Pflichten erledigen (Saturn), wird sich dies positiv auf Ihren Karriereweg (Sonne) auswirken. Wenn Sie sich jedoch Ihrer Verantwortung (Saturn) entziehen wollen (Krebs-Sonne), dann ist damit zu rechnen, dass z.B. Ihr Vorgesetzter (Sonne) Druck (Saturn) machen wird.
Alle diese Aussagen sind astrologisch vollkommen korrekt und einzig und alleine aus einem Horoskopfaktor abgeleitet. Ein astrologischer Prognosetext, der so aktuelle Tendenzen beschreibt, ist durchaus seriös. Übrigens verfahren alle gewissenhafte Computer-Textanalysen nach diesem Verfahren. Desweiteren kann man andere Transit-Planeten berücksichtigen – bei einem Monatsüberblick eignen sich vor allem Mars, der ca. zwei Monate durch ein Zeichen wandert und Jupiter, der ungefähr vier Monate für eine Strecke von zehn Grad auf dem Tierkreis benötigt. Im Einzelfall können auch Merkur- oder Venus-Transite interessant sein, wenn sie eine langsame Phase haben oder gar über einem Tierkreis-Dekanat eine Rückläufigkeits-Schleife einlegen. So ist Merkur beispielsweise in der Zeit vom 27.4. bis 21.5. auf den Graden 20 bis 11 im Stier rückläufig. Das entspricht ziemlich exakt dem zweiten Stier-Dekanat. Auch das läßt sich interpretieren.
Die Einteilung der Tierkreiszeichen in Dekanate erlaubt also einen zeitlich überschaubaren Rahmen. Man kann dabei seriöse Aussagen über Transite, die die Sonne in dem jeweiligen Zehn-Grad-Abschnitt empfängt, treffen. Natürlich ist ein gewisses Abstaktionsvermögen notwendig – schließlich wissen wir ja nichts darüber, wie die Sonne in das gesamte Horoskopbild eingebunden ist, zum Beispiel Häuserstellung und Aspektbild.
Sonnenstandsastrologie auf diese Weise betrieben ist durchaus seriös. So bieten kurze Texte Möglichkeiten, sich auf ganz bestimmte Transite vorzubereiten. Natürlich ersetzen sie keine komplette, individuelle Beratung. Dennoch ist es eine Chance, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Fair und ehrlich. Ein kurzer Text, der auf einen nahenden Saturn Transit über Sonne hinweist, gibt dem Leser / der Leserin Gelegenheit, diese Zeit der Prüfung gewissenhaft selbständig zu händeln und nicht gesenkten Hauptes als „Schicksalsschlag“ hinzunehmen.
Und besonders vorteilhaft ist an solchen Texten: durch diese Vorgehensweise werden Menschen angesprochen, die bisher von den Möglichkeiten der Astrologie keine Kenntnis hatten. Ist es nicht auch ein wenig arrogant von jedem gleich zu erwarten, eine umfassende, spirituelle und prozeßorientierte Einzelberatung in Anspruch zu nehmen? Kann nicht auch hie und dort ein kleiner Hinweis auf eine kommende Entwicklung ausreichend sein? Wer sagt denn, dass alle Menschen ständig die „große Beratung“ brauchen?
Wer beim regelmäßigen Lesen „seines“ Horokoptextes bemerkt, dass er davon profitiert, wird auch langfristig für die Astrologie gewonnen werden. Schließlich ist Astrologie weder ein Schulfach noch gesellschaftlich in dem Maße anerkannt, dass man automatisch einen ungestörten Zugang zu diesem Erkenntnisinstrument erhält. Astrologie lernt man erst durch eigene Erfahrung schätzen.
Ernsthafte, glaubwürdige und fachlich einwandfreie Kurztexte sind ein Wegbereiter für die Individualastrologie. Insofern wäre es zudem fatal, die Deutungstexte, die Transite zur Sonne beschreiben, fachlich dubiosen Quacksalbern und unerfahrenen Zeitungs-Praktikanten zu überlassen. Der Schaden, den diese Leute anrichten, ist bekannt.